In der Querstraße stauen sich Wagen. Über und über mit Menschen beladen. Das Phänomen begleitet mich seit gestern Morgen. Es auf der Überlandstraße gibt wenige Privatwagen und sehr viel mehr Transportwagen, auf denen die Menschen auf der hinteren Stoßstange stehen, sich irgendwie am Fahrzeug festhalten, obenauf sitzen, oder an der Seite hängen. Jeder kleinste Unfall muss für viele von ihnen tödlich enden. Eine Schranke versperrt den Weg. Aber es kommt Bewegung in die Schlange. Ganz vorne eine Art "Schulbus". Ein Jeep, der unter einer Traube uniformierter Jungen gar nicht mehr zu erkennen ist (Foto rechts).
Sie jubeln, als Soldaten die Schranke hochgehen lassen. Die Nebenstrecke, die auf dieser Seite des Flusses bleibt, war ebenfalls nach dem Anschlag gesperrt worden und wird jetzt wieder frei gegeben. An der Brücke soll das noch ein paar Stunden dauern: "Unlimited curfew."
Ich kehre zurück zur Raststätte. Carlos steckt mit seinem Bus weiterhin fest. Ich lese wieder. Schließlich packt mich die Unruhe. Wenn ich Besham mit seinen Hotels noch vor Sonnenuntergang erreichen will, muss ich jetzt weiter. Und die neue Einschätzung der Sicherheitslage bestätigt mich darin. So breche ich auf, verabschiede mich von Carlos, der leider kein Handy zum weiteren Austausch hat.
Es ist nach 18 Uhr. An der Absperrung will man mich nicht durchlassen. Seit Stunden wird niemand mehr über die Brücke gelassen. Ich bitte darum, mit dem Kommandanten zu sprechen. Ich werde in das nächstliegende Haus geführt. Im ersten Raum Parterre sitzen zwei Herren. Dem hinterm Schreibtisch, der vor drei Stunden zwei seiner Leute - Shabir Shah und Niaz Khan - verloren hat und sechs Verletzte zu beklagen, habe ich kaum mein Anliegen erklärt, sagt er nur: "He can go." Es ist alles gesagt. Die Wachen werden per Handy informiert. Ich fahre zur Brücke. Kann in den Augenwinkeln keine eindeutigen Spuren des Anschlags erkennen. Ein paar Metallteile liegen herum. Später erfahre ich: der Selbstmordattentäter hat mit seinem Auto den gesamten Checkpunkt in die Luft gesprengt. Ich radle auf die andere Seite. Die Grenze einer neuen Provinz, den North Western Territories, zu denen auch die Unruhe-Region Waziristan gehört. Ich reise nun durch Indus Kohistan. (Für das andere Ufer, den Distrikt Battagram war es der erste Taliban-Anschlag überhaupt.) Seit Jahrhunderten für seine begrenzte Fremdenfreundlichkeit berüchtigt. Auch auf dieser Brückenseite ein Checkpoint, rundum gesichert mit Sandsäcken. Ich muss mich registrieren lassen, mich in die Liste der Ausländer eintragen. Mit Datum und Uhrzeit. Handschriftlich. Aber zum Glück eigenhändig. Das geht schneller. Und niemand prüft, ob meine Angaben mit meinem Pass übereinstimmen. Aber nach dem Anschlag ist mir nicht nach Späßen zumute.
Ich darf weiter. Muss versprechen, nicht über Besham hinaus in die Dunkelheit zu fahren. Auch die wartende Menge auf dieser Flussseite nimmt mich beiläufig zur Kenntnis. An den sich stauenden Autos radle ich vorbei. Auch die große Anzeige-Tafel, die erste, die ich sehe, zum Khunjerab kann mich nicht erheitern. Erst auf dem Foto entdecke ich daheim einen wichtigen Hinweis auf dem Straßenschild. Es sind nur 80 Kilometer bis zum Swat-Tal. Das Swat- und das Indus-Tal, durch das ich in den nächsten Tagen radle, verlaufen hier parallel. Die wenigen Querverbindungen sind kürzer als hundert Kilometer. Im Swat-Tal kämpfen seit Wochen pakistanische Truppen gegen die Vormachtstellung der pakistanischen Taliban unter Baitullah Mehsud (der sechs Wochen später durch eine amerikanische Rakete, abgefeuert von einer Drohne, ermordet wird). Mitte Juli wird Pakistan den Krieg für beendet und gewonnen erklären. Der Rest der Strecke verläuft abseits des Flusstals, aber flach. Trotzdem zäh. Ein paar Steinwürfe, was soll's. Erst in Besham, wieder am Fluss, geht es hoch in den Ort, wo ich im Halbdunkel schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufe. Dann runter über die Brücke und neben der großen, neuen Tankstelle, liegt das von mir auf Basis verschiedener Reiseführer erwählte Hotel im totalen Dunkel. Ein paar Jungs lungern herum. Als sie mich sehen, lebt das Ganze auf. Nach einigen Minuten ist der Generator angeworfen.
Das Hotel erstrahlt in Licht. Für mich. Wieder reduzieren sie den Preis ohne Verhandlung um ein Drittel.
Mein neu gewonnenes Sicherheitsbewusstsein lässt mich nachdenken, ob ein Fenster zur Straße günstig sei, ob vom gegenüberliegenden Hang Gefahr drohe, ob ich nicht besser Licht im Zimmer vermeide. Ich schiebe einen Sessel zwischen Bett und Tür, die sich so nicht mehr öffnen lässt. Do not be afraid! Aber vorsichtig?
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