An den Zufahrten der Fernstraße rein nach Erdenesant haben sich Tankstellen, Läden, Restaurants und sogar ein (nicht sehr einladend aussehendes) Hotel angesiedelt. Auf der zweispurigen Strecke herrscht viel Verkehr. Schlimmer für uns: uns fegt ein grimmiger Westwind entgegen. Obwohl wir endlich wieder auf Asphalt sind, kommen wir nur im Schneckentempo voran.
Pause im Windschatten der ganz wenigen Felsen. Wir sind ein paar Meter hochgeklettert, während unten der Verkehr vorbeirauscht. Der Fahrtwind eines Sattelschleppers mit Container, Rückenwind und hoher Geschwindigkeit reißt mein auf der Gegenseite relativ stabil stehendes Rad um. Das vordere Schutzblech ist gespalten.
In der Weite taucht ein Rohbau auf. Kilometermarkierung 191/240, also 240 Kilometer von Ulaanbaatar entfernt. Das erste Gebäude direkt an der Straße seit Erdenesant. Scheinbar verlassen. Tauben kreisen über der Bauruine. Ein provisorisches Dachblech scheppert beständig im Wind. Daneben stehen ein Bauwagen und zwei Jurten. Der Schutz im Rohbau vor dem Wind ist eine große Erleichterung. Der Wind zehrt beständig an Kräften und Nerven.
Plötzlich taucht ein stämmiger älterer Mongole auf. Im dritten Versuch schafft er es, die Wasserpumpe hinterm Haus anzuwerfen. Das Wasser strömt in eine Tränke, während sich die Pferde nolens volens nähern. Ich mache das Zeichen zum Schlafen und er weist zur Jurte. Eine Nacht in der Jurte ist eigentlich ein mongolischer Reisetraum, aber die hier ist mehr ein Notbehelf für uns. Ein schmales dreckiges Bett, Tisch, Stühle, vergammelte Lebensmittel über die die ein oder andere Maus klettert. Noch bevor wir die Räder in die Jurte schieben können, braust ein deutlich jüngerer Mongole auf seinem Motorrad heran, wild gestikulierend: wir dürften da nicht übernachten, das sei seine, so wie die ganze Bauruine. Wir hatten uns mit dem älteren Mann längst auf einen kleinen, gleichwohl überbezahlten Obulus geeinigt. Ok, sollte sein Scherz sein. Ungefragt dringt er in die Jurte ein. Raucht hier. Legt sich samt seiner hohen Lederstiefel aufs Bett. Unangenehm. Ich spreche zu Miri von einem "Despoten". Irgendwann sind wir ihn erstmal los. Immerhin öffnet er auf Nachfrage das Schloss, sodass wir überhaupt die Jurtentür von innen verriegeln können.
Aus Wärme- und Hygienegründen besorgen wir aus der Bauruine Styroporplatten. Als wir uns niedergelassen haben und der Windsturm heftiger denn je am Jurtendach zerrt, nähert sich in der Dunkelheit ein Motorrad. Seine bekannte Stimme verlangt Einlass. Schließlich öffne ich einen Spalt. Ich bin machtlos gegen seine Kraft, die in den Raum drängt. Er lässt sich in der Mitte der Jurte nieder. Es ist etwa 22 Uhr. Das Rund wird nur von unsern beiden Handys erleuchtet. Manchmal blendet er mich. Es ist nicht ganz klar, was er will. Aber irgendwie hat er es auf Miri abgesehen, die im Schlafsack auf dem Boden liegt. Wir schwanken zwischen Deeskalationsversuchen und dem Versuch Dominanz zu demonstrieren. Ich versuche meine minimal höhere Körpergröße zu betonen. Immerhin können Miri und ich uns verständigen. Wir reden, reden, reden, ohne dass er etwas versteht. Irgendwann steht Miri auf. Das ist der Wendepunkt. Wir haben die Initiative ergriffen und packen unsere Sachen zusammen. Zunächst in der Hoffnung, dass er verschwindet. Er geht kurz aus der Tür, durch die die Kälte die ganze Zeit über hereindringt, uns aber auch eine gewisse Fluchtmöglichkeit lässt. Dann sind die Räder so gut wie fahrbereit. Mit dieser Entschlossenheit scheint er nicht gerechnet zu haben. Er wirft sich auf seine Maschine und fährt los. Wir umarmen uns. Ich gehe aus der Jurte mit ausgeschaltetem Handy. Die ganze Zeit über hab ich den Finger am Alarm gehalten, von dem ich nur weiß, dass er ein unangenehmes Geräusch von sich gibt, wenn er ausgelöst würde. Da sehe ich in der Dunkelheit das Glimmen einer Zigarette, die er sich noch in der Jurte angesteckt hatte. Dann leuchte ich plötzlich mit dem kleinen Scheinwerfer rund um die Jurte und sehe ihn. Er schreckt zurück. Wir schieben die Räder hinaus ins freie Dunkel. Wir checken halbwegs, ob wir alles haben. Dann rollen wir los auf die unverändert viel befahrene Fernstraße. Es fühlt sich großartig an. Wir sind davongekommen. Wie durch ein Wunder ist der Windsturm verschwunden. Wir kommen wunderbar voran. Nach neun Kilometern sehe ich einen Feldweg nach rechts abführen. Wir fahren noch ein paar hundert Meter. Um 23:58 Uhr ist das Zelt aufgebaut.
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