Kasachstan erreicht - Gibraltar fehlt
Mittwoch, 10. Juli 2013: Bischkek - Grenze Kirgistan/Kasachstan - Kordai-Pass (1233 m) - Akterek (117 km)
Sie haben nur noch neun Briefmarken, aber wir haben zehn Postkarten. Die Lage ist vertrackt in der zentralen Hauptpost in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Eine Handvoll Briefmarken steht der Postmitarbeiterin überhaupt nur zur Verfügung. Den Wert 30 Som, etwa ein halber Euro, für Postkarten nach Deutschland, hat sie in zwei sehr verschiedenen, zwei sehr schönen Motiven. Aber summa summarum nur neun Mal. Es wird gesucht, gekramt, gequatscht. Nichts zu machen. Dann greift sie zum ultimativen Mittel: eine 20er- und eine 10er-Briefmarke wird kombiniert. Auch sehr schön. Unerfindlicher Weise zahlen wir pro Postkarte dann aber etwas über 35 Som. Das ist wiederum etwas weniger, als sie mir vorher gesagt hatte. Bevor ich noch einmal zehn Dollar getauscht habe, um die Postkarten doch noch in Bischkek aufgeben zu können.
Für zehn Dollar wiederum gab es einen schlechteren Kurs. Wegen der kleinen Menge wollte mir - statt der außen angeschlagenen gut 48 Som - einer nur 45, einer nur 40 Som (also fast 20 Prozent weniger), der letzte immerhin 47 Som geben. Bleiben also noch ein paar Som für einen letzten Supermarkt-Einkauf. Miris Lieblingssaft "Beresi" (Birkensaft) gibt es leider nicht. Dafür gekochter Buchweizen, Blinni (kleine Pfannküchle) und undefinierte Teigtaschen. Südwind bläst uns in einer Stunde zur Grenze. Der kirgisische Ausreisestempel wird für uns Radler von Amts wegen ruckzuck organisiert. Bei den Kasachen müssen wir unsere Räder stehen lassen und kurz durch die Immigration. Kleines Zettelchen als Ergänzung zu unserm Visum ausfüllen. Fertig. Die bei Fußgängern obligatorische Gepäckdurchleuchtung bleibt uns erspart. Nach einer Viertelstunde sind wir komplett über der Grenze. Und sprechen mit einem Amerikaner, der auf sein Sammeltaxi wartet. Da er in Freiburg studiert hat, spricht er perfekt Deutsch. Lebt in Peking und reist durch Chinas Umfeld. War grad im Norden Afghanistans, wo er in Mazar-e-Sharif außer einem als Paschtunen verkleideten Holländer der einzige Tourist blieb.
Kasachstan ist das 80. Land, das ich mit dem Fahrrad erreicht habe. Das letzte Land Europas, wenn man so will. Die europäische Fläche liegt von der Größe her im oberen Drittel der europäischen Staaten, größer als Griechenland allemal. Auch wenn wir am ganz andern Ende von Kasachstan radeln. Es sollte auch das letzte Uefa-Land sein. Aber vor zwei Monaten hat die Uefa Gibraltar aufgenommen.
Bis zur Grenze haben wir hundert Höhenmeter verloren, die haben wir zur Mittagspause wieder gewonnen. Wir passen zufällig das vorerst letzte Restaurant ab, wo Julien Paul mit seinen Ortliebtaschen samt Lowrider und Rad sitzt (Foto rechts). "The Road Inside Me" heißen Homepage und Motto des Franzosen, der jahrelang auf der Outside-Road unterwegs ist. Zunächst von Mexiko nach Ushaia und jetzt in ganz Asien auf dem Weg zu seinem Bruder in Kambodscha. Wir können uns über alle Himmelsrichtungen austauschen und ihn auch mit kirgisischen Karten beglücken. Dann beginnt der mit Abstand mühsamste Teil des Tages. Der extrem langsame, plötzlich mit Gegenwind unterlegte Aufstieg zum Kordai-Pass (Korday, Kurday, Кордай, Курдайский перевал, 1233 m). Samt Zwangpause wegen Gewitter und Ermüdung. Immerhin kühlt der Regen die Luft von 41 auf 17 Grad runter. Am andern Fuße des Passes stärken wir uns erneut in einer riesigen, menschenleeren Kantine, durch die Vögel schwirren und immer zielsicher die offenen Türen anpeilen. Birkensaft gibt es hier auch. Es lebe Kasachstan. Vor allem, als wir nach genau hundert Kilometern heute die Grenze zum Oblast Almaty überqueren und der raue Asphalt sich in ganz weichen, sanften wandelt. Und weil wir jetzt wieder Rückenwind haben, rollen wir einfach so dahin. Fahren zum ersten Mal auf dieser Tour sieben Stunden netto (bisher maximal sechs Stunden). Und beim Abzweig von Akterek (Foto unten) inmitten der weithin einsehbaren Felder stellen wir unser Zelt auf. Sind entsprechend müde. Mit der Hoffnung, morgen Almaty zu erreichen.
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