Schlange aus dem Steppengras Donnerstag, 25.
September 2003: Sudak - Feodosia - Kertsch (155 km) Noch 40 Kilometer
Paradies-Radeln im Krim-Gebirge. Wieder stoppt ein Milizwagen den Verkehr.
Diesmal folgen Radler. Erst die Spitzengruppe. Dann das etwa
hundertköpfige Hauptfeld (Foto rechts). Begleitfahrzeuge. Nachzügler. Und
irgendwo steht einer am Straßenrand. Ich frage, ob ich helfen kann. Nein.
Die linke Pedale ist komplett Schrott. Sein Trainer sei unterwegs. Ja, das
sei so etwas wie die Tour d'Ukraine. Durchs ganze Land etappenweise. In
Feodosia sind die Berge vorüber. Der letzte Touri-Ort. Frauen, die hier
oben ohne in der Sonne liegen, legen sich kleine Steine auf die
Brustwarzen. Jetzt wird's trist. Flach. Steppengras. Öde. Ich
konzentriere mich kaum noch auf die Strecke. Plötzlich bewegt sich etwas
von rechts über die Straße. Es glitzert grau in grau mit dem Asphalt im
Nachmittags-Sonnenlicht. Ich reiße den Lenker nach rechts, zurück nach
links. Umkurve gerade noch die Schwanzspitze der Schlange. Irgendwann
beginnt mal wieder eine Allee, dichte Sträucher, wie auf den ersten
ukrainischen Etappen. So erscheint die Landschaft schön. Weil man nichts
von ihr sieht. Und heute hält das Gestrüpp mir den Gegenseitenwind vom
Leib. Ich erreiche Kertsch an der Ostspitze der Krim. 600 Kilometer, schon
fünf Tage eiere ich über die Insel, die 30mal so groß wie Rügen, 8mal so
groß wie Mallorca, fast so groß wie Belgien ist. Das große und einzige
"Hotel Kerch" hat kein Wasser. Immerhin sind in der Ukraine allerjüngst
die Extra-Hotel-Preise für ausländische Touristen abgeschafft worden.
Unter einem Wellblech-Plastikdach vor einem großen Spiegel tanzen die
Jugendlichen in einem großzügigen Café. Der Disc-Jockey legt ukrainische,
russische, englische, französische Musik auf und Tarkan. Unter
Radlerkriterien war die Ukraine mega-angenehm: rücksichtsvolle Autofahrer,
nicht allzu viel Verkehr, kein einziger Hund, der sich bemerkbar macht. No
hassle. Einer der Weltumradler, ich glaube Claude Marthaler, der radelnde
Philosoph - "Velosoph" - ist bei seiner mehrjährigen Tour dreimal
überfallen worden. Zweimal davon in der Ukraine. Das ist rund zehn Jahre
her. Ich habe mich nirgendwo annähernd gefährdet gefühlt. |