Gelebter Kolonialismus: Derry oder Londonderry?
Dienstag, 8. Juli 2008: Donegal - Raphoe - Grenze Irland/Nordirland - Derry - Portstewart (130 km)
Dank des Hostels ist das Breakfast self-gecatert und fällt dadurch mal nicht so üppig aus wie in den B&Bs. Dafür bereiten wir den ein oder anderen Imbiss für zwischendurch vor. Am Anfang steht der lange Anstieg zum Gap Barnesmore. Bergab treibt uns der Regen unter die Büsche. Auch bei der Pause vor dem neuen Balor Arts Centre in Ballybofey (Foto ganz oben auf der Ausrüstungsseite) flüchten wir uns in eine Bushaltestelle. Der Nachmittag wird dann immer schöner, immer sonniger, nur nicht warm. Eine sehr schöne Nebenstrecke führt uns via Raphoe schließlich über die nicht markierte Grenze nach Nordirland. Nur ein Schild weist darauf hin, dass im Unterschied zu Irland, das seit einiger Zeit auf das metrische Dezimalsystem umgestellt hat, in Nordirland Geschwindigkeits-Beschränkungen immer noch in Meilen angegeben werden.
So friedlich wie an der Grenze geht es nicht weiter. An der ersten Kreuzung ist auf dem Straßenschild Richtung Londonderry "London" weiß überstrichen. Derry oder Londonderry? Ein Stück aktuelle Kolonialgeschichte. Für Großbritannien ist es Londonderry, für die Iren Derry. Schon Derry ist ein Anglizismus des alt-irischen "Daire" (= Eichen-Waldung), das im modernen Gälisch heute "Doire" geschrieben wird. So irren die Iren stets ein bisschen zwischen der längst verinnerlichten Übernahme der Sprache und Kultur ihrer Unterdrücker und Kolonialherren, den Briten, und dem umso stärkeren Stolz auf ihre Eigenständigkeit. Geschrieben heißt der Ort fast überall Londonderry, genannt wird er überwiegend Derry. So auch in der Touri-Info. Zwei Drittel der Bevölkerung sind katholisch, irisch, ein Drittel protestantisch, britisch. Am Fuß der Stadtmauer liegt ein katholischer Stadtteil, die Kern-Zelle des Widerstands. Eines zunächst friedlichen Widerstands, der durch die brutale Tötung von 13 bzw. 14 unbewaffneten Bürgerrechtlern durch britische Ordnungskräfte am "Bloody Sunday", dem 30. Januar 1972, zum Jahrzehnte-langen Bürgerkrieg wird. Riesige Wandgemälde (Foto rechts), ein Denkmal und ein Museum erinnern an die düstere Zeit, die hier im Sonnenschein bedrückende Geschichte aber keine unmittelbare Gegenwart mehr zu sein scheint. Die 25 Kilometer lange Straße nach Limavady ist ein Härtetest für unsere Nerven, die folgenden Kilometer auf der B201 nach Coleraine ein Härtetest für die Bein-Muskeln. Noch mal auf 250 Meter und dann über viele Wälle bergab nach Coleraine. Zuletzt ein Radweg nach Portstewart, dem ein bisschen viktorianischen Seebad. Wo wir einen schönen Abend an der langen Hafenpromenade verbringen. Und die Sonne tatsächlich auch mal wolkenlos untergeht, fast ganz im Norden.
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