Monopolisten-Prolog: Vive le Hass auf die Bahn
Dienstag, 9. September 2008: Zugfahrt Mainz - Budapest
Stuttgart Hauptbahnhof, kurz vor 19 Uhr. "Alles läuft endlich mal problemlos", denke ich. Ich bin extra eine Stunde früher gefahren. Um nicht in Darmstadt wegen 14 Minuten Umsteigezeit dem Zug hinterherzuschauen. Kein Ärger. Eine etwas orakelhafte Anzeige interpretiere ich nicht Bahn-gerecht: „Fahrradreservierung heute für Wagen 264“ Ok. Eigentlich habe ich eine Reservierung für Wagen 255. Aber, was soll's. Der Intercity fährt ein. Wagen 261, 262, 263. Alles 1. Klasse. Und? Ende. Bald rollt eine Lokomotive heran. Aber Lokomotive pur, ohne Fahrrad-Abteil, ohne Wagen 264. Ich laufe einmal am Zug entlang. Stelle fest, dass der Zug heute offenbar kein Fahrrad-Abteil hat. Müsse ich halt mit einem andern Zug fahren, meint der Oberschaffner mit der gleichgültigen Arroganz eines staatlichen Monopol-Unternehmens. Ich jedoch möchte meinen Anschluss-Nachtzug in München bekommen, damit meine Tour in Budapest nicht 24 Stunden später beginnt. Ich versuche es noch einmal ganz hinten. Da bin ich schon häufiger mitgenommen worden. Ich kette das Fahrrad an, auf beiden Seiten kann man noch bequem aus- und einsteigen. Viele Schaffner sind damit einverstanden. Nicht mein heutiger Oberschaffner: „Ich muss davon ausgehen, dass es brennt. Ich bin für die Sicherheit von 300 Passagieren verantwortlich. (Anmerkung: Der Waggon ist menschenleer.) Dann entsteht eine Panik und die Leute kommen wegen Ihres Fahrrads nicht raus - Gehen Sie doch zum Service-Punkt. Dort wird man Ihnen weiterhelfen.“ Nach allem was ich weiß, werd ich so nicht mehr rechtzeitig nach München kommen. Gegenüber hat inzwischen ein TGV gehalten, der ebenfalls nach München fährt. Ich erwarte keine Fahrrad-Transport-Möglichkeit, kann auch keine entdecken, überlege aber, im letzten Moment samt Fahrrad im Zug zu verschwinden. Da er jedoch noch ein paar Minuten steht, schiebe ich mich und das Fahrrad tatsächlich zum Service-Punkt. Drei Verbindungen mit Fahrrad-Transport druckt mir der Service-Mensch aus. Eine ist fast doppelt so lang wie die reservierte: mit Regionalzügen und drei mal Umsteigen. Dann fährt sogar noch ein Inter-City in einer Stunde; und, als erste und schnellste Möglichkeit: der TGV, den ich auf dem Bahnsteig gesehen hab. Ich eile zurück zu Gleis 15. Sehe immer noch kein Fahrrad-Zeichen. Frage den TGV-Oberschaffner. Der fragt erst mal nach der Reservierung. In einem letzten Akt von Geistesgegenwart hab ich mir auf meinem Fahrradticket vom IC-Oberschaffner „Dauer D.“ – wie der Zugchef seinen Namen handschriftlich auf einer Art Visitenkarte hinterlassen hat – bestätigen lassen, dass sein Zug heute eben mal ausnahmsweise kein Fahrrad-Abteil dabei habe. Das hilft jetzt beim TGV. Der Schaffner weist ans Ende. Erste Klasse ist dort. Ein Behinderten-Abteil. Kette ich da mein Fahrrad fest. Später erfahre ich, dass rechts vom Einstieg auch ein paar Zweite-Klasse-Plätze mit Sitzen zum Hochklappen für Fahrrad-Transporte sind. Vive la France. Und der Hass auf die Deutsche Bahn.
Neben mir sitzt eine Studienabbrecherin, die in Arbeitsbrigaden Bunker in den Pyrenäen auf Vordermann gebracht hat und jetzt Maskenbildnerin werden will. Eine ältere Frau erkundigt sich nach Tipps für ihre Irland- und Polen-Radtouren. Zwanzig Minuten später als geplant erreiche ich samt Rad München Hauptbahnhof. Dirk, der mir mit seinem Rennrad zum Ironman verhalf und mich mit Dominique die Begeisterung für das Bergauf-Fahren lehrte, führt mich zu einem exzellenten Thailänder am Viktualienmarkt. Um Mitternacht liege ich im Liegewagen nach Budapest, mit Kurswagen nach Bukarest (keine 25 Stunden), über Zagreb nach Belgrad – ganz Südost-Europa in einem einzigen Zug. |