Lourdes aus eigener Kraft
Mittwoch, 2. April 2008: Massat-Biert - St. Girons -
Mauvezin - Lourdes (148 km) Full English Breakfast in Frankreich.
Die Esmeraldas sind eigentlich Milch-Bauern, die erst aus England flohen,
weil dort die Höfe immer größer werden müssten, um zu überleben, dann in
Zentral-Frankreich, was sich auch nicht recht gelohnt hat. Jetzt steht nur
noch eine Metall-Kuh vor der B&B-Tür und ein Gite in den Bergen, das
sie im Sommer bewirtschaften.
Weiter abwärts durch das
schmale Tal des Arac. Durch die Gorges de Ribaouto kann man auf beiden
Seiten fahren. Wir wählen die schmalere, südliche. Mit ein paar Tunneln,
die für Fahrräder ohne Licht gesperrt sind. Meine LED-Lampe schwächelt
erstaunlich bei Tageslicht. Wegen unserer gestrigen Sackgassen-Fahrt
müssen wir heute schwer ackern, um bis Lourdes zu kommen. Lohnenswerter
Stopp in St. Lizier mit Kreuzgang (Foto links) und Kirche, ein klassischer
Jakobsweg-Stopp auf der Nebenstrecke "Chemin du Piémont Ariège-Pyrénées"
mit römischen Spuren. Die Gegenwind-Arbeit beginnt. Heute geht's nur
über Hügel. 1200 Höhenmeter in vielen kleinen Häppchen. Miri zieht mich
viele, viele Kilometer. Ein alter Mann deutet mir, ich müsse doch so eine
Frau längst überholt haben. Können. Dann zieh ich wieder an. Jeder
Kilometer zieht sich wie Gummi. Mittags reichen die Wolken so tief, dass
die Pyrenäen verschwunden sind. Erst kurz vor ihrem Untergang scheint die
Sonne wieder. Die Schneefelder in den Bergen sind zu sehen. Steigungen bis
zum Schluss. Nur die letzten zwölf Kilometer führen bergab in großen Bögen
um alle Hügel herum. Tiefer und tiefer zur Grotte von Lourdes, wo ein
Wächter uns die Einfahrt in den menschenleeren Wallfahrtsbereich verwehrt:
"privé". Trotten wir zurück über den Grotto-Boulevard. Nehmen ein
Hotelzimmer, vielleicht auch Pilgerzimmer. Jedenfalls wenig luxuriös. Der
übergewichtige Patron klebt an seinem Stuhl im Keller-Restaurant. Als die
kleine Lichterprozession am Hotel vorbeizieht, will Miri doch noch mal
runter. Die Prozessionen aus allen Ecken der Stadt führen vor dem
Wallfahrts-Heiligtum zusammen. Wo eine ausführliche
Marien-Rosenkranz-Andacht vollendet wird. Jedes "Avé" des unvermeidlichen
Lourdes-Klassikers "Avé, Avé, Avé Maria" von Abbé Gaignet aus dem Jahr
1874 (Kurt Tucholsky in seinem Pyrenäenbuch: "Es hat unzählige Strophen.")
wird mit dem Hochreißen aller verfügbaren Kerzen gewürdigt. Irgendwann
werden die Kerzen verstärkt durch Scheinwerfer, die die Wallfahrtskirche
erleuchten. Ein polyglottes Zeremoniell. An dem zu Tucholskys Zeiten Mitte
der zwanziger Jahre wegen des Ersten Weltkriegs keine deutschen Gruppen
teilnahmen. Was wäre, wenn alle diese Menschen so an ihre eigene Kraft
glaubten, wie sie auf ein Wunder hoffen? |