Start mit zehn Stunden
Zugverspätung
Freitag, 28. Juli 2006:
Zugfahrt Mainz - Mannheim - Karlsruhe - Paris Der Zug von Mainz
nach Mannheim hat angekündigte 25, reale 30 Minuten Verspätung. Ich wäre
besser gar nicht eingestiegen. Schließlich habe ich in Mannheim nur 18
Minuten zum Umsteigen. Zum letzten Zug mit Fahrrad-Beförderung nach Paris
an diesem Tag. Aber... vielleicht klappt's ja doch. Kein vielleicht.
Der Kartenkontrolleur versprüht wenig Mühe, den Frankreich-Zug zum Warten
zu veranlassen. Meint nur scheinheilig: Vielleicht komme der ja später.
Genau das herauszufinden wäre SEINE Aufgabe gewesen. So ist in Mannheim
schnell klar: Entweder ich übernachte auf Bahn-Kosten im Hotel (es ist 16
Uhr...) oder ich fahre mit einem Nachtzug. Ich entscheide mich für
Letzteres. Das verschafft mir gut 90 Minuten Aufenthalt im "Reisezentrum"
des Mannheimer Hauptbahnhofs.
Premium-Behandlung, weil alles
auf zehn Stunden Verspätung für meine Ankunft in Paris hinausläuft. Die
Dame am Schalter holt den Supervisor. Ich würde sogar einen
Schlafwagen-Platz bekommen, wenn noch einer frei wäre. Ein Platz im
Liegewagen wird es sein. Aber in welchem Nachtzug? In dem von Karlsruhe
nach Paris sind nur vier von acht Fahrrad-Plätzen gebucht, aber es lässt
sich kein weiterer Platz buchen. Bliebe also ein Rest Ungewissheit. Mir
wäre es egal, nicht aber den sehr engagierten Bahn-Bediensteten. Möglich
wäre ein Nachtzug von Straßburg nach Paris, aber da ist es zu spät für die
obligatorische Fahrrad-Reservierung. Bekomme ich also doch ein Ticket für
Karlsruhe - Paris. Sicherheitshalber mit einem offiziellen
Begleitschreiben (in Original-Schreibweise): "An die Mitarbeiter NZ 260 -
Liebe Mitarbeiter, Aufgrund d. verspäteten IC2113 von MAINZ (s. Anlage)
ist es nicht mehr möglich gewesen d. Hr. Gocke, Chr., die Weiterfahrt
fortsetzt. Daher bitte Ich Sie den Hr. Gocke ohne Fahrradreservierung
aufzunehmen und ihm die Weiterfahrt in ihrem Zug zu gestatten! MfG..."
Dazu ein Stempel: "DB Vertrieb GmbH Reisezentrum Mannheim" Ich fahre
direkt nach Karlsruhe, gehe dort shoppen und sitze einige Stunden vor dem
Schloss. Um 0:54 h soll der Zug in Karlsruhe starten. Als ich den Bahnhof
erreiche, wird ein halbe Stunde Verspätung angezeigt. Am Bahnsteig steht
aber schon ein Zugteil, der in Karlsruhe an den Nachtzug 260 gehängt wird.
In diesem Zug hat jeder Waggon so viele Fahrradplätze, dass fast alle
Räder rund um den Hauptbahnhof mitgenommen werden könnten. Irgendwann
kommt der Zug tatsächlich, die Schlafwagenplätze sind tatsächlich alle
belegt ("Nous sommes complets"), reguläre Radplätze gibt's zu Hauf und
wegen der wenigen Buchungen im Liegewagen - trotz Freitagnacht mitten in
der Sommer-Ferien-Hochsaison - bekomme ich ein Abteil ganz für mich
allein. Bonne nuit.
Tour de France: Paris, Senlis,
Amiens und Flandern Samstag, 29. Juli 2006: Paris - Senlis - Amiens - St. Pol sur
Ternoise (202 km) Gut ausgeschlafen entsteige ich aus meinem
Einzelliegewagenabteil am Gare de l'Est in Paris (Foto rechts). Und das
nur noch eine Viertelstunde nach Fahrplan. Statt 20:59 h bin ich nun um
7:15 h hier. Zehn Stunden und fünfzehn Minuten Verspätung. Selbst für
einen Bahnvielfahrer eine beachtliche Zeit. Kurz darauf geht's los.
Samstag morgen. Paris erwacht langsam. Straßen werden gereinigt und sind
ansonsten verlassene Pisten für Fernradler. Es geht schnurstraks nach
Norden. Auf der Nationalstraße 2 bzw. 17 nach Senlis. Sehr angenehme
Fahrt. Obwohl die Strecke zwischen zwei Flughäfen verläuft: Le Bourget und
Roissy (CDG). Am Morgen die Kathedrale von Senlis, am Nachmittag die
von Amiens (Foto links). Der seitliche Rückenwind macht's möglich. Das
Anfangstempo von 22,2 km/h lässt im Laufe des Tages nach, aber es wird
auch stetig wärmer und hügeliger. Am Ende habe ich unerwartet 1416
Höhenmeter genommen. In Doullens habe ich schon einen Zimmerschlüssel
in der Hand, doch als die ansonsten Gästelosen Besitzer mein Fahrrad ein
paar Häuser weiter im Freien unterbringen wollen, verlasse ich die
Szenerie, um danach festzustellen, dass in diesem Ort sonst kein Zimmer zu
kriegen ist. Auch Hotel-Besitzer machen in Frankreich bekanntlich gern im
Sommer Urlaub. Raffe ich mich noch einmal auf. Erreiche nach 202 km St.
Pol sur Ternoise. Auch hier hat nur ein Hotel noch freie, schöne Zimmer.
Belgien: Küste mit
Straßenbahn
Sonntag, 30. Juli
2006: St. Pol sur Ternoise - Hazebrouck - Hondschoote - Grenze
Frankreich/Belgien - Houtem - De Panne - Knokke-Heist - Grenze
Belgien/Niederlande - Breskens - Fähre - Vlissingen - Middelburg (200
km) Flacher. Bewölkter. Ab und zu tröpfelt es. Die Hitze ist für
den Rest der Tour passé. Westwind treibt mich anfangs auf 23,1 km/h.
Hazebrouck heißt der nächstgrößere Ort. Fast alle Namen klingen schon
Flämisch. In Hondschoote radle ich kurzentschlossen über die Grenze
nach Belgien, meinem 50. Radtouren-Land. Fahre an der Grenze entlang zum
Strand, weil ich die komplette belgische, d.h. flämische Küste erleben
will. 67 km ist sie lang. Ich werde 89 belgische Kilometer zurücklegen.
Teils auf der "Kust Fietsroute", dem neu angelegten Küstenradweg, den die
Tourismusorganisation in Westflandern stark promotet, u.a. mit einer
kostenlosen Karte. Mir verläuft die Route zu häufig abseits des
Meeres. Ich bevorzuge Promenadenfahrten, was auch weitgehend erlaubt ist.
Unterschiedlichste Fun-Räder werden alle paar Meter verliehen. Ja, die
Promenade: Ein Ort ist wie der andere: Überall stehen etwa
zehn-geschossige Wohnhausblöcke in einer langen Reihe an jeder Promenade.
Und davor oder dahinter verläuft die Straßenbahn: zwei Gleise verbinden
die französische mit der holländischen Grenze (Foto rechts). Eine bizarr
zugebaute Küste. Wunderbar treffend beschrieben samt Villen, Flughafen,
Rennbahn von Zora del Buono in einem Beitrag für die 50. Ausgabe der
Meereszeitung Mare im Juni/Juli 2005: "Durch Raum und Zeit". Nach der Lektüre wollte ich
unbedingt die ganze belgische Küste sehen. Am Nachmittag bin ich schon
durch. In Holland. Setze auf die Insel Walcheren über, was in Breskens
nach dem Bau eines Tunnels weiter östlich nur noch für Fußgänger und
Radfahrer möglich ist. Nicht einmal jede Fähre nimmt auch Fahrräder mit.
Bleibt noch eine traumhafte Kanalfahrt (Foto sh. Equipment-Seite) nach
Middelburg, wo ich dank umfangreicher Zimmersuche noch den 200.
Tages-Kilometer erreiche (Abendstimmung sh. Foto Special).
Niederlande: Allertraumhafteste
Dünenlandschaft
Montag, 31. Juli 2006:
Middelburg - Rozenburg - Fähre - Maassluis - Den Haag - Zandvoort -
Haarlem - IJmuiden - Fähre - Bergen aan Zee (201 km) Radlerparadies
Niederlande. Bestens markierte Radwege parallel zu fast jeder Straße.
Breite Fahrrad-Highways mit eigenen Verkehrszeichen, häufig zwar mit
Backsteinen gepflastert, trotzdem angenehm zu fahren, was sogar Rennradler
goutieren. Anfangs 25,5 km/h. Blowin' with the Wind. Auf langen Dämmen
mit Gezeitenkraftwerken. Schon kann ich Pause machen in dem beschaulichen
Goedereede (Foto links). Kälter heute, zunächst bedeckt. Meine Karte
verrät nicht eindeutig, ob ich konsequent an der Küste entlang Fähren und
Brücken vorfinde. Es zeigt sich: Alle Verbindungen sind da. Durch die
Ausläufer des Rotterdamer Euroports werden die Radler teils über breite
separate Hochstraßen gut geleitet und landen schließlich an einer Fähre
von Roozenburg nach Maassluis, die Rotterdam rechts liegen lässt.
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