Gerade will ich zu Miri ein paar Abteile weiter vorne gehen, um zu klären, was wir nun heute Abend machen: Unsere Tickets gehen bis Duisburg. Wir könnten dort übernachten, oder von dort noch nach Mülheim oder Essen radeln, oder mit dem Zug gleich nach Essen durchfahren und dort übernachten. Da stoppt der Zug kurz vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof plötzlich auf offener Strecke. Was beim Zugfahren immer wieder vorkommt, aber jedes Mal ein unangenehmes Gefühl verursacht: ist was defekt? gab es ein Hindernis? kommen wir schnell weiter? oder hat sich gar jemand vor den Zug gestürzt? Diesmal ist es wohl letzteres. Wir sind ziemlich am Ende des Zuges und können in der Dunkelheit draußen nichts erkennen. Die Stimmung ist sofort gedrückt. Und bleibt ruhig. Die ganze Zeit.
In der Bahn-App springt der Zug schon kurze Zeit später auf zwei Stunden Verspätung. Die Strecke ist komplett gesperrt. Obwohl sie vielspurig ist, kommt kein Zug mehr in irgendeiner Richtung vorbei.
Die Ansagen sind informativ, aber ernüchternd. Ein Ersatzzug soll von Köln aus mobil gemacht werden. Irgendwann wird er neben unseren Zug gelotst. Da sind aber schon mehr als zwei Stunden Wartezeit um. In der Zwischenzeit tauchen plötzlich zwei Feuerwehrleute auf, die durch alle Waggons gehen. Einige Zeit später gibt es Wasser in Tetra-Paks. Alle greifen zu, keiner trinkt.
Miris Sitznachbarn spielen Doppelkopf. Zu dritt. Einer muss immer einen Solo spielen. Dafür bekommt er den Pott von vier Karten, die er wieder drücken muss. Sie spielen allerdings mit viel mehr Solos als wir. Jedenfalls bin ich bald der vierte Mann (Foto oben). Miri wechselt zu den Rädern. Und es gibt noch eine andere Sonderregelung: Zwangsansage nach dem ersten und zweiten Stich. Das führt dazu, dass die beiden ersten Stiche extrem defensiv verlaufen. In der Regel versucht jeder, keinen dieser beiden Stiche zu machen. Es ist meist schnell geklärt, wer Re oder Kontra ist. Mir ist mal wieder das Kartenglück hold. Und so kann ich ganz gut mithalten.
Privat mitreisende Bahn-Mitarbeiter werden inzwischen über Lautsprecher gebeten zu helfen. Auf den Notfall-Manager der Bahn muss gewartet werden. Safety first. Die Türen dürfen erst geöffnet werden, wenn der Notfall-Manager an Bord ist. Eine Art Leiter, die sich in einer Box im Fahrrad-Abteil versteckt, wird ausgefahren (Foto rechts). Die Stufen sind klappbar, sodass dann später daraus eine Art Brücke zum Umstieg auf den Ersatzzug wird (Foto unten). Da sind dann drei Stunden um. Auch die Fahrräder kommen problemlos rüber. Der Ersatzzug hält schon direkt mit einem Fahrradabteil vor unserm Fenster.
Ein Radler aus dem letzten Waggon taucht am Ende auch noch auf. Er hatte die Fahrrad-Abteile nicht gesehen und war mit seinem Tourenrad einfach so eingestiegen. Er hat gerade den kompletten Rhein abgeradelt. Von Hoek van Holland zur Quelle. 1.600 Kilometer in 16 Tagen. Sein Sohn in Melle bei Osnabrück hat heute Geburtstag. Den wird er heute nicht mehr sehen. Gegen 23:30 Uhr erreichen wir Duisburg Hauptbahnhof. Eine Verspätung von rund 210 Minuten. Wir radlen nur noch 150 Meter bis zum Hotel, das wir inzwischen gebucht haben.
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